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Inspiration

schlaflose Nächte

Rückblick…

In den darauf folgenden Tagen mache ich mir Gedanken darüber, wie ich es der Stationsleitung am besten beibringen könnte. Ich liege nächtelang wach, zerbreche mir den Kopf und habe ein mulmiges Gefühl, wenn ich zur Arbeit fahre. „Geh am besten den offiziellen Weg und bitte um ein Gespräch, er mag sowas!“, sagt eine Kollegin und gute Seele in einer Pause zu mir. „Ich muss nur den richtigen Moment abpassen.“, ist meine Antwort.
Aber gibt es den überhaupt? Den richtigen Moment? Bei uns läuft es drunter und drüber. So viele Kolleginnen sind schwanger geworden im letzten Jahr. So viele, dass ich persönlich aufgehört habe mit zu zählen. Es ist also bei weitem nicht der richtige Zeitpunkt, um meine Kündigung anzusprechen. Aber mir läuft die Zeit davon…
Heute wird er im Dienst sein, das weiß ich. So wie die letzten 6 Tage auch. Heute traue ich mich.

Oder auch nicht. Alles was ich diesbezüglich geschafft habe in dem heutigen Spätdienst, ist, an seinem Büro auf- und abzulaufen. Oder zu rennen, trifft es eher. Soviel Stress wie in dieser Zeit haben wir schon lange nicht mehr gehabt. Irgendwie denkt man sich nach einer stressigen Phase immer: „Das war’s. Schlimmer kann es nicht werden.“ Doch schlimmer geht immer. Das weiß ich jetzt.
Mir ist zum Weinen zu Mute. Nicht nur, weil der Dienst so schlimm ablief, sondern auch, weil ich mich wieder nicht getraut habe und nun wieder einmal mit diesem Gefühl nach Hause fahre.
Auch in dieser Nacht liege ich wach. Es ist mittlerweile schon 3 Uhr nachts. Morgen steht wieder ein Spätdienst an. Es ist immer schwierig nach dem Spätdienst, vor allem nach einem so schrecklichen, zur Ruhe zu kommen. In letzter Zeit wurde es nur noch schlimmer für mich. Eben weil dieses Gespräch noch aussteht. Meine Entscheidung steht. Es gibt kein zurück mehr für mich. Also was hindert mich? Scham? Weil ich mein Team auf eine Art im Stich lasse? Mitgefühl? Weil ich nur eine von vielen bin, die geht oder gehen möchte und ich weiß, was das für die Station und die Leitungen bedeutet? Nervosität? Wie vor einer Klassenarbeit, wenn man am liebsten die Zeit vorwärts drehen möchte, um es bereits hinter ich zu haben?

Auch am nächsten Tag wächst mein Mut nicht. Also beschließe ich auf dem Sommerfest am nächsten Tag meine Freundinnen zu Rate zu ziehen. Ich habe Frühdienst, sodass ich direkt im Anschluss hingehen kann. Und ich meine hallo? Es gibt Essen und Getränke auf’s Haus.
Nach dem Frühdienst am kommenden Tag, gehen meine Kolleginnen und ich also auf das besagte Fest. Wir sprechen über alles mögliche, wir essen und trinken und lachen. Auch die Leitungen sind in der Nähe und sitzen immer mal wieder an unserem Tisch. Heute sind wir Schwestern nicht nur unter uns, es sind auch einige unserer ärztlichen Kollegen, teilweise mit ihren Frauen und Kindern, bei uns. Diese Abende gefallen mir am besten. Wir alle sitzen als ein großes Team zusammen, vergessen für ein paar Stunden den Krankenhaus Alltag und genießen einfach unsere freie Zeit mit ein paar Flaschen Wein und leckerem Essen.
Am Ende des Abends habe ich gefühlt alle meine engsten Freundinnen zu Rate gezogen, mit einem Ergebnis, dass ich ohnehin erwartet hatte. „Sag es ihnen endlich!!“
Das Gespräch mit einem Kollegen, der selbst bald für ein paar Wochen ins Ausland geht und hierfür gekündigt hat, bleibt mir aber am meisten im Gedächtnis. „Wenn du es nicht sagst, werde ich es für dich tun. Möchtest du das?“
Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Ich bin so gerührt von dieser Aussage, denn sie war keinesfalls maßregelnd gemeint, sondern eher aufrichtig empathisch. „Ich habe mich genauso gefühlt, wie du. Aber am Ende fühlte ich mich 100kg leichter. Glaub mir, es ist ein gutes Gefühl.“ – „Okok, du hast ja Recht. Ich mache es. Aber besser nicht mehr heute.“, ist meine Antwort und wir fangen an zu lachen.

Ein paar Dienste später ruft mich die Leitung ins Büro. Wir müssten einmal über meine Stunden gucken, ist die Begründung. Wir haben nun schon seit einiger Zeit dieses neue Zeiterfassungssystem und manchmal stimmen die Stunden vorne und hinten nicht. Wir korrigieren die Fehler und mein Herz fängt am Ende des Gesprächs an zu rasen. „Ich bräuchte auch dringend einmal ein Fürsorge Gespräch!! Nicht nur mit dir, sondern auch mit der Stellvertretung!“ Sichtlich erstaunt über meine Aussage, fragt er mich, ob alles okay sei. „Nein nicht unbedingt, aber darüber sollten wir dann in Ruhe sprechen, und auch, wie es für mich weiter geht.“ Wir vereinbaren einen Termin und ich gehe sichtlich erleichtert zurück an die Arbeit und schlafe am Ende des Tages zum ersten Mal seit Wochen sofort ein.
Trotzdem bleibt da noch die Frage, wie ich es am besten in diesem Gespräch ausdrücke. Ob sie etwas ahnen?

Die Wochen bis zu dem Gespräch vergehen wie im Flug. Ich muss einiges organisieren. Die Kündigungen für die Arbeit und die Wohnung vorbereiten. Mich über Krankenversicherungen informieren, den Vertrag fürs Fitnessstudio kündigen, Arztbesuche organisieren. Oft sitze ich stundenlang am Laptop und führe gleichzeitig Telefonate. Immerhin das Visum habe ich bereits beantragt und genehmigt bekommen. Doch es fühlt sich an, als würde ich nicht weiter kommen. Ich muss endlich dieses Gespräch hinter mich bringen!
Umso mehr freue ich mich über jedes Treffen, jedes Abendessen oder Frühstück mit meinen Freundinnen. Freundinnen hier in der Stadt, in die ich vor 2 Jahren gezogen bin. Sie waren erst nur Kolleginnen, doch nun sind einige von ihnen sehr enge Freunde geworden.
Ich möchte die Zeit bis zu meinem Abflug noch einmal mehr genießen und so nehme ich jedes Treffen und jedes Gespräch jeden Tag intensiver wahr. Ich schaue mir meine Freundinnen an und versuche mir jeden Zentimeter einzuprägen. Verrückt, als würde ich jemals ihre Gesichter vergessen können. Und ich meine, es gibt ja Gott sei Dank Skype und andere Möglichkeiten, sich sehen zu können, auch über diese Entfernung hinweg. Trotzdem, ich kann nicht genug von diesen Treffen mit ihnen haben und so versuche ich, jede freie Minute vor oder nach der Arbeit mit ihnen zu verbringen. All meine freien Tage verbringe ich bei meinen Eltern, mit der Familie und mit meinen Freunden aus der Heimat. Auch bei ihnen empfinde ich genau dasselbe und so habe ich eigentlich kaum freie Minuten für mich selbst. Ob das gut ist, weiß ich nicht.

Als der Tag des Gespräches dann gekommen ist, bin ich überrascht wie ruhig ich mich fühle. Natürlich bin ich etwas nervös, aber mehr noch fühle ich mich erleichtert. Ich weiß, dass ich unendlich erleichtert sein werde, wenn ich das nächste Mal von diesem Parkplatz fahren werde. Und so gehe ich mit einem leichten Gefühl von Vorfreude auf unsere Station.

Er ist noch nicht da. Unsere stellvertretende Leitung schon. Wir warten mehrere Minuten, versuchen ihn telefonisch zu erreichen. Nichts. Also entschließen wir uns das Gespräch alleine zu führen. Eigentlich keine schlechte Idee. Ein Gespräch nur unter Frauen macht es mir leichter. Wir setzen uns also ins Büro und ich fange an zu reden. Mir fällt es schwer ihr in die Augen zu sehen, als ich es ausspreche. „Ich kann nicht mehr, ich werde kündigen!“ „Das habe ich mir schon gedacht.“, antwortet sie und sieht mich mit einer Mischung aus Neugier und Mitgefühl an. Und da ist noch etwas. Angst? Bedenken? Wut? Kein Wunder. Es gehen immer mehr von uns. Entweder in den Mutterschutz, oder weil sie umziehen oder weil sie langsam eine andere Richtung einschlagen müssen. So ganz kann ich ihren Blick aber nicht deuten und deshalb spreche ich einfach weiter.  Ich erzähle ihr von meinen Plänen, meinen Traum zu verwirklichen und davon, dass ich das nicht habe kommen sehen, aber auch, dass es mir um einiges besser geht, seit ich diese Entscheidung getroffen habe. Ich fühle mich jetzt nicht mehr, als würde ich mich im Kreis drehen oder als würde die Zeit an mir vorbei fliegen.  Ich erzähle ihr außerdem, dass mich die Umstände in der Pflege und vor allem auf unserer Station schwer zu schaffen machen. Viele Dinge vertrete ich ethisch nicht und leider habe ich das Gefühl auch nach 2 Jahren hier nicht verloren. Ich habe Angst Fehler zu machen. Fehler, die einem Kind das Leben kosten könnten. Es haben sich richtige Zwangsstörungen daraus entwickelt, 5 Mal mindestens muss ich immer und immer wieder die Medikamente kontrollieren, bevor ich sie geben kann. Wie oft habe ich sie schon verworfen und neu vorbereitet? Und die Zeit, die ich dafür brauche, habe ich doch eigentlich gar nicht, wodurch ich am Ende noch mehr Stress und Ängste habe. Ich erzähle ihr, dass ich dieses Gefühl nicht mehr ertrage, niemandem gerecht zu werden. Weder den Patienten und deren Angehörigen, noch den ärztlichen oder unseren Kollegen. Täglich geht man mit dem Gefühl nach Hause, zwar alles gegeben zu haben, aber doch irgendwie zu versagen. Schwachsinn natürlich, das weiß ich. Aber mich persönlich macht es nicht mehr glücklich und ich merke von Tag zu Tag, dass ich unglücklicher werde und dass meine Gesundheit sogar schon darunter leidet. Ich zähle ihr auf, wie oft ich krank geworden bin, öfter als jemals zuvor, dass man trotzdem immer zur Arbeit kommt, was auch eigentlich ein No-Go für alle Beteiligten sein sollte und dass ich immer müde bin, egal wie viel ich geschlafen habe. Ich fühle mich schlichtweg ausgelaugt. Sie nickt immer wieder und sagt, dass sie das verstehen kann. Sie lächelt dabei aufrichtig. Ich entschuldige mich, denn ich fühle mich gerade miserabel und so, als würde ich mein Team mit all dem im Stich lassen. Aber ich muss jetzt einmal an mich denken. Oder soll ich mich selbst hinten anstellen? Haben wir denn nicht nur dieses eine Leben?
Wir sprechen auch über die Möglichkeit, ein Jahr unbezahlten Urlaub zu nehmen. Doch das möchte ich nicht. Ich möchte auf keinen Fall rückwärts zählen. Ich möchte einfach frei sein und das Gefühl los werden. „Das ist wirklich sehr schade und ich hoffe du weißt, dass du jeder Zeit hier wieder willkommen bist!“, sagt sie und wir verabschieden uns langsam.
Mehrmals sind wir unterbrochen worden, aber so ist das hier nun einmal. Der Stationsalltag geht einfach weiter, ohne Pause.
Sie wünscht mir alles erdenklich Gute und dass ich glücklich werde und ich kann mich gar nicht oft genug bedanken.

Und dann verlasse ich die Station durch den Hinterausgang. Ich gehe zu meinem Auto und irgendwie ist mir zum Weinen zu Mute, auch wenn ich mich gleichzeitig 100kg leichter fühle. Genau wie mein Kollege es mir prophezeit hatte. Mein Kopf brummt.
Gut, dass ich mich gleich mit Freunden treffe und wir zu unserem Stammrestaurant gehen. Ich werde mir dort erst einmal ein Glas Wein bestellen und mir das Erlebte von der Seele sprechen.

Hoffentlich haben sie nun ein Ende, die schlaflosen Nächte…

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